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Grußwort einer Bonner Anwältin zum Aktionstag von Gemeinschaftlicher Widerstand am 28.11.

Das Grußwort wurde auch in Bonn am 13.12. verlesen.

Hallo zusammen!
Leider kann ich aus beruflichen Gründen heute nicht anwesend sein.
Daher bat ich um Verlesung meines Redebeitrags!

Als 1967 in Berlin der Student Benno Ohnesorg bei einer Demonstration gegen den Schah erschossen wurde – da demonstrierten in Düsseldorf 2500 Jugendliche. Sie fragten: „Heute ein demonstrierender Student – morgen ein streikender Arbeiter?“

Wenn heute – zunächst fünf, noch dazu die jüngsten – Demonstranten, vor Gericht gezerrt werden, weil sie demonstrierten, wenn ihnen vorgeworfen wird, sie hätten gemeinschaftlich Vollstreckungsbeamte tätlich angegriffen, sie hätten gemeinsam
einen schweren Landfriedensbruch begangen, wenn ihnen vorgeworfen wird, sie hätten eine bewaffnete Gruppe gebildet – dann steht die Frage: Heute das – was kommt morgen?

In Hamburg herrschte der Ausnahmezustand. Er herrschte auf 38 Quadratkilometern, in denen kein Abwehrrecht, kein Grundrecht gegenüber dem Staat mehr galt. In denen jede Versammlung und Demonstration verboten war.
Er herrschte durch eine Übernahme der Stadt durch die Polizei mit über 30.000 Landes- und Bundespolizeikräften, mit über 3.000 Einsatzfahrzeugen, mit Räumpanzern, Wasserwerfern, Hubschraubergeschwadern, mit 62 Booten, 153 Polizeihunden, der »größten Ballung von Dienstpferden deutschlandweit«, mit deutschen und österreichischen Sondereinsatzkommandos.
Er herrschte durch massenweise polizeiliche Beobachtungs- und Dokumentationstrupps mit laufender Videokamera:
Zehntausende Videos filmten diejenigen, die nicht in die „Ordnung“ dieser Tage passten.
Die Aufhebung der bürgerlichen Rechte – sie herrschte in HamburgHarburg, in einer eigens eingerichteten Gefangenensammelstelle für die Gegner der „Ordnung“: 12.000 Quadratmeter, insgesamt 400 Plätze für Gefangene. Hunderte
wurden während der Tage des Gipfels über Stunden in diese
Gefangenensammelstelle verbracht – entwürdigend behandelt.
Demonstranten als „Mob“, Demonstranten als „Gefahr“ – weggesperrt.

Es folgten teils drakonische Strafen für Festgenommene, Strafen, begründet mit „staatsfeindlicher Gesinnung“, begründet damit, der Staat müsse die „Ordnung“ schützen. Ein Strafrecht, das Menschen die Bürgerrechte versagt – ein Feindstrafrecht, weil für diejenigen, die darunter fallen, die für die Gesellschaft geltenden Rechte nicht mehr gelten sollen. Ein solches Strafrecht braucht keine Straftat.

So soll nun – geht es nach der Staatsanwaltschaft Hamburg – eine Verurteilung für mehrere Dutzend Demonstranten folgen. Ihre „Tat“: Teil einer friedlich marschierenden Demonstration gewesen zu sein. Ihre „Tat“: Zulaufen auf eine Polizeikette.
Schon das gemeinsame Zugehen im Pulk auf Polizeibeamte stelle eine erhebliche Kraftentfaltung dar, die auf einen unmittelbaren körperlichen Zwang gerichtet sei. Einer tatsächlichen Berührung bedürfe es nicht – so die Staatsanwaltschaft Hamburg. Eine konkret vorwerfbare Straftat brauche es nicht.
Wer Teil dieser Demonstration war, der untergrabe die „öffentliche Sicherheit und Ordnung“. Er sei eine drohende Gefahr für die Ordnung.

An diesen 5 Jugendlichen soll ein Exempel statuiert werden.
Diese Entwicklung ist höchst gefährlich. Sie muss jeden Demokraten und Antifaschisten aufrütteln.

Wenn in diesen Zeiten fünf Jugendliche dafür vor Gericht gestellt werden, weil sie demonstrierten.
Wenn in diesen Zeiten der Innenminister von NRW offen dafür plädiert, die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 8 Abs. 1 GG, zur Versammlungsfreiheit, ad acta zu legen.
Wenn er just erst dieser Tage offen fordert, dass der Landfriedensbruch – Paragraph endlich ausgeweitet werden muss – er dies gegen rechts propagiert – gegen links wird er angewendet –
Dann muss jeder sich fragen, auf welcher Seite er steht!

Was hier mit Polizei, mit Gesetz und Rechtsprechung geschützt wird, was in Hamburg geschützt wurde, ist eine Ordnung der Mächtigen, eine kapitalistische Ordnung. Eine Ordnung, die Tausende Tote im Mittelmeer jedes Jahr heißt. Die jeden Tag 45.000 Menschen in die Flucht treibt. Eine Ordnung, in der alle 10 Sekunden ein Kind an Hunger stirbt, also 8600 pro Tag – obwohl die derzeit produzierten Nahrungsmittel für 12 – 14 Mrd. Menschen reichen. Eine Ordnung, die jeden Tag die Weltmeere mit 25.000 Tonnen Plastikmüll verseucht und 33.000 Hektar Ackerland unfruchtbar gemacht. Eine Ordnung, in der die Armutsquote in
dieser BRD einen historischen Wert erreicht hat – während 119 deutsche Milliardäre sich im „Krisen-Jahr“ 2020 weitere knapp 80 Mrd Euro angeeignet haben.

Diese Ordnung wurde in Hamburg gesichert. Mit einer flächendeckenden Aushebelung der Versammlungsfreiheit. Mit der Durchsetzung des Ausnahmezustands. Diese Ordnung wird nach wie vor geschützt. Mit Mitteln wie in Hamburg.

Auch mit den neuerlichen Polizeigesetzen, die mit einer „drohenden Gefahr“ tiefgreifende Eingriffe in die Grundrechte erlauben.
In Hamburg war die „drohende Gefahr“ der Demonstrant.
Hamburg zeigte, wie sich diese herrschende Ordnung zu sichern gedenkt. Wie die noch Mächtigen ihre Ordnung sichern werden –
Gegen den Demonstrierenden heute, gegen den Streikenden morgen – gegen jeden, der opponiert. Sich hiergegen zur Wehr zu setzen – das taten die Demonstranten vom Rondenbarg.
Das zu tun, ist Pflicht eines jeden Demokraten und Antifaschisten.

„Die Gefahr, die uns droht ist der totale Staat im Gewande der Legalität – die Diktatur hinter der Fassade formaler Demokratie.“ sagte das IG Metall Vorstandsmitglied Georg Benz 1967, als es gegen die Notstandsgesetze ging. Ja, das ist das, was uns droht.

Sorgen wir also dafür, was dem Einhalt gebieten kann!
Sorgen wir für Widerstand!